Kürzlich wurde ich für ein Projekt der Uni Stuttgart zu Berufsfeldern für Geisteswissenschaftler von zwei Studentinnen interviewt. Da mir das Thema sehr am Herzen liegt habe ich meinen Weg und meine Erfahrungen als Geisteswissenschaftlerin in der Wirtschaft im Folgenden mal zusammen gefasst. Ich hoffe, dass ich den ein oder anderen dazu motivieren kann, auch mit einem geisteswissenschaftlichen Abschluss den Einstieg in die Wirtschaft zu wagen.

Erststudium & Master

Nur die wenigsten wissen, dass ich vor meiner verrückten Startup-Zeit, ganz früher also, Sprachwissenschaft und Französisch im Erststudium studiert habe. Ich wollte nach der Schule nicht den üblichen Lehrer- oder BWL-Karriereweg einschlagen und andere Sprachen und Kulturen haben mich schon immer interessiert. Als ich dann zufällig über das Fach Vergleichende Sprachwissenschaft an der Uni Mainz gestolpert bin und ich mich näher damit beschäftigt habe, war meine Entscheidung gefallen. Was ich mit dem Abschluss später einmal anfangen würde, war für mich zu diesem Zeitpunkt zweitrangig. Wichtiger war für mich, dass ich etwas studiere, was mich wirklich interessiert. Purer Idealismus also, auf den meine Familie mit Unverständnis reagiert hat, den ich aber keinesfalls bereue.

Während des Studiums in Mainz habe ich dann aber schon früh angefangen, praktische Erfahrungen in verschiedenen Positionen zu sammeln. Der Wendepunkt kam im Rahmen meines Marketing-Praktikums bei der IBM 2008. Dieses hat mir das erste Mal die Möglichkeiten in der freien Wirtschaft aufgezeigt und ich hatte das Gefühl, dass auch ich als “Geisti” darin bestehen könnte. Allerdings war und ist der Einstieg in die Wirtschaft mit „nur“ einem geisteswissenschaftlichen Abschluss im Lebenslauf schwierig. Um nach meinem ersten Abschluss weitere wirtschaftliche Kenntnisse zu sammeln, habe ich anschließend ab 2009 noch einen berufsbegleitenden Master in Management in Stuttgart absolviert und gleichzeitig in einem Projekt im Personal- und Online-Marketing gearbeitet.

Einstieg in die Startup-Szene

Während meines Masters habe ich durch Zufall am ersten Startup Weekend Stuttgart im September 2010 teilgenommen und damit war mein Weg in die Startup-Szene geebnet. Ende 2011 habe ich dann zusammen mit Harald Amelung und Johannes Ellenberg die ehrenamtliche Community Startup Stuttgart mit gegründet und auch ein Jahr für Conceptboard, ein Stuttgarter Startup, gearbeitet. Zusammen mit Harald und Johannes haben wir dann 2012 unser Unternehmen Accelerate Stuttgart gegründet.

Auf in die Wirtschaft

Lange Rede, kurzer Sinn: Auch Geisteswissenschaftler schaffen den Einstieg in die Wirtschaft, wenn auch oft auf Umwegen. In die meisten Arbeitsbereiche kann man sich aus meiner Sicht einarbeiten, wenn man das nötige Durchhaltevermögen, Disziplin und den Lernwillen mitbringt. Den Großteil des Wissens, das ich heute bei meiner Arbeit brauche, habe ich mir tatsächlich „on the job“ bzw. im Rahmen von Praktika angeeignet.

Wirtschaftliche Zusatzqualifikationen sind jedoch sinnvoll und helfen vor allem als Validierung im Lebenslauf, wenn man sich für einen Job in der freien Wirtschaft bewirbt. Leider fällt es deutschen Unternehmen immer noch schwer, Vertrauen in Absolventen zu setzen, die „nur“ einen geisteswissenschaftlichen Abschluss mitbringen. Deshalb sind Praktika während des Studiums ein absoluter Pluspunkt, genauso wie Auslandserfahrungen, denn sie verhelfen zu ganz neuen Perspektiven, Skills und Selbstständigkeit, die man im Studium in Deutschland so nicht mitbekommt.

Geisteswissenschaftler leiden oftmals an mangelndem Selbstbewusstsein, da ihre Kompetenzen nicht explizit „greifbar“ sind. Implizit brauche ich aber meine Skills aus meinem ersten Studium jeden Tag und wäre ohne dieses nicht da, wo ich heute bin. Im Vergleich zum „normalen“ BWLer gehe ich ganz anders an Problemstellungen und Aufgaben heran und bringe ganz andere Ideen mit ein. Dies ist eine wertvolle Ergänzung zu den ganzen wirtschaftlichen Kenntnissen, die ich mir über die Jahre angeeignet habe. Als tollen Nebeneffekt kann ich Texten und Events neben Deutsch und Englisch auch auf Französisch moderieren.

Ich kann nur jedem Schulabgänger empfehlen, ein Studium zu absolvieren, dass ihn/ sie auch wirklich interessiert, um diese wertvollen Jahre bis zum Maximum auszunutzen. Erfahrungsgemäß landet man sowieso nicht in dem Job, den man im Studium geplant oder im Visier hatte. Ich bin jeden Tag froh, dass ich im Erststudium Linguistik studiert habe!

Welche Erfahrungen habt ihr mit eurem Studienabschluss gemacht? Würdet ihr aus heutiger Sicht nochmal dasselbe studieren oder ganz was Anderes? Ich freue mich auf eure Kommentare.

Showing 3 comments
  • Gianna Reich
    Antworten

    „Geisteswissenschaftler leiden oftmals an mangelndem Selbstbewusstsein, da ihre Kompetenzen nicht explizit „greifbar“ sind. Implizit brauche ich aber meine Skills aus meinem ersten Studium jeden Tag und wäre ohne dieses nicht da, wo ich heute bin. Im Vergleich zum „normalen“ BWLer gehe ich ganz anders an Problemstellungen und Aufgaben heran und bringe ganz andere Ideen mit ein. “ Dem kann ich absolut zustimmen. Geisteswissenschaftler sollten sich viel mehr zutrauen und öfter die ihnen zugewiesenen Berufsrollen (Museum, Journalismus) verlassen. Vielen Dank für den Artikel! 🙂

    • Kathleen
      Antworten

      Danke dir, Gianna! 🙂 Spannender Blog, den du betreibst. Kannte ich bisher noch nicht und finde ich richtig gut!

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  • […] Mein Weg als Geisteswissenschaftlerin in die Wirtschaft – „Kürzlich wurde ich für ein Projekt der Uni Stuttgart zu Berufsfeldern für Geisteswissenschaftler von zwei Studentinnen interviewt. Da mir das Thema sehr am Herzen liegt habe ich meinen Weg und meine Erfahrungen als Geisteswissenschaftlerin in der Wirtschaft im Folgenden mal zusammen gefasst. Ich hoffe, dass ich den ein oder anderen dazu motivieren kann, auch mit einem geisteswissenschaftlichen Abschluss den Einstieg in die Wirtschaft zu wagen.“ […]

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